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Der innere Sturm

Ich nehme meine aktuelle Lage, meine Gedanken und Gefühle zum Anlass, euch etwas darüber zu erzählen, wie Pflegekinder denken und fühlen.

Meine Mutter ist gestorben. Wir hatten 16 Jahre keinen Kontakt mehr und nun ist sie tot. Ich bin schon lange erwachsen und trotzdem wirft es mich ein Stück weit um. Nicht, weil ich etwas in meinem Alltag vermisse. Denn dort war sie ja nicht. Aber vielleicht, weil mit ihr auch die Hoffnung gestorben ist, dass sich irgendwann mal etwas ändern könnte. Dass eine Versöhnung stattfinden könnte und anschließend das Innere Kind eine äußere Mama hat, die sich kümmert. Und weil so vieles aus der Versenkung wieder auftaucht. Erinnerungen kommen auf. Ungewollt. Ich sehe gemeinsame Bilder. Ich höre Gespräche. Ich fühle gemeinsame Szenen. In meinem Inneren ist ein großes Durcheinander.

Mein Verstand weiß, dass es keine andere Möglichkeit als Abstand gab. Weil alles andere im absoluten Chaos geendet hätte. Weil es Probleme ausgelöst hätte, die ich nicht haben will. Weil meine Familie betroffen gewesen wäre, die ich vor solchen Aktionen schützen will. Und trotzdem ist da noch ein Teil in mir…. Plötzlich weiß ich, was ich euch erzählen will. Denn euren Pflegekindern geht es auch so wie mir. Sie sind in ihrer neuen Familie angekommen, sie fühlen sich wohl und sie genießen das neue, umsorgte Leben. Und plötzlich sind da diese Flashbacks. Dieses kurze Aufblitzen von alten Situationen. Millisekunden schnell. Manchmal sogar unbemerkt und nicht einzuordnen. Trotzdem legt es einen inneren Schalter um und ändert die Gefühlslage. Das Glück ist getrübt. Zweifel werden laut. Man fühlt, dass etwas fehlt, und weiß doch nicht, was es ist. Man kann es nicht greifen – und deshalb auch nicht be-greifen und verarbeiten. Erst recht nicht in jungem Alter. Wie denn auch? Wenn es so schnell geht, dass man nicht mal weiß, wo es herkommt. Die Stimmung kippt, die aktuelle Wahrnehmung ändert sich und man kapiert ja selbst nicht, was mit einem los ist. Das alte Leben war mies. Aber es war das, was man gewohnt war. Das, was man kannte. Wenn man etwas kennt, dann ist das eine Art Sicherheit. Egal, wie beschissen es ist, es ist vorhersehbar. Ein neues Leben nicht. Weil es Spielregeln hat, die man noch nicht kennt. Weil man zuerst mal nicht weiß, wie es weitergehen wird nach all dem Glück und der Harmonie. Denn man kennt es ja anders. Wer gibt einem denn eine Garantie, dass es nicht noch mal so wird? Man hat es ja erlebt – also kann es ja auch immer wieder so werden. Diese Ungewissheit macht unruhig. Und unsicher.

Ich weiß noch, wie ich in der Pubertät war. Die große Klappe hat nur die innere Unsicherheit übertönt. Das äußere Erscheinungsbild hatte nichts mit der inneren Eigenwahrnehmung zu tun. Ich war laut, damit niemand merkt, wie verletzlich ich bin. Verletztlich….. und verletzt. Was hätte mir geholfen? Liebe, Annahme, Akzeptanz und Geduld. Und genauso geht es euren Kindern. Auch wenn sie laut sind, treten, schreien und toben. Sie brauchen euch. Sie können es nur nicht sagen. Weil sie selbst nicht verstehen, welcher Sturm da in ihrem Inneren tobt. Weil immer wieder etwas in ihrem Inneren auftaucht, was sie aus ihrer Bahn wirft. Dann, wenn sie es nicht vermuten und dann, wenn sie es nicht gebrauchen können. Habt Geduld. Es ist nicht gegen euch gerichtet. Es ist gegen das Leben gerichtet, das manchmal unsagbar unfair mit seinen Kindern umgeht.

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