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Der Unterschied zwischen Leiblichen Kindern, die bei ihren Eltern aufwachsen, und Pflegekindern, die von ihren leiblichen Eltern getrennt aufwachsen

Bild von Enrique Meseguer auf Pixabay

Warum finde ich denn eigentlich, dass es da einen Unterschied zwischen Leiblichen Kindern und Pflegekindern gibt?

Es gibt doch genügend Pflegeeltern, die darauf bestehen, dass ihre Pflegekinder nicht traumatisiert sind und dass sie ganz genau so zu behandeln sind wie leibliche Kinder. Keinen Unterschied machen, das schadet nur. Früher versuchte ich immer zu erklären – heute bleibe ich genauso ruhig, wie wenn jemand mir erzählt, dass er in seiner Kindheit geschlagen worden ist, was ihm aber ÜBERHAUPT NICHT geschadet hat. Schließlich ist ja was aus ihm geworden, oder nicht? Es geht mir nicht darum, andere mit meiner Meinung zu überzeugen. Es geht mir vielmehr darum, den Pflegeeltern zu helfen, die eine Erklärung für ihr eigenes Gefühl suchen, dass es halt doch einen Unterschied gibt.

Das gleiche Verhalten GLEICHT sich nämlich nur. Es kann aber einen komplett anderen Hintergrund haben. Deshalb ist es wichtig, dass Pflegeeltern sensibel genug sind, diesen Unterschied zu erfassen – auch wenn sie anfangs gar nicht wissen, wie sie dies einordnen können. Es ist halt „nur“ ein Gefühl, denken sie – dabei ist doch genau unser Gefühl die wichtigste Informationsquelle überhaupt. Wir haben nur gelernt, unserem Gefühl nicht zu trauen. Aber das ist Bullshit. Unsere Intuition ist in der Kindererziehung das höchste Gut, das wir haben.

Ein Beispiel aus meinem eigenen Erleben. Wir waren voriges Jahr auf einer Karnevalsveranstaltung für Familien in einer recht großen Sporthalle. Alles war proppevoll. Die Menschen waren schlecht zu erkennen, weil sie verkleidet waren. Das Licht war bunt und verwirrend, der Geräuschpegel extrem hoch. Wir saßen an den langen Tischen und ich sah ein kleines Mädchen, vielleicht 3 oder 4 Jahre alt, suchend umherirren. Obwohl es laut weinte, interessierten all die Mamas und Papas sich überhaupt nicht für die Kleine. Aber das ist wieder mal ein anderes Thema. Ich ging zu ihr, fragte sie, was passiert ist, und machte mich mit ihr an der Hand auf die Suche nach der Mama. Wir gingen einfach überall herum und plötzlich sah sie bekannte Personen und schwupps, ab zur Mama, einmal gedrückt und dann spielte sie auch schon mit den anderen Kindern weiter, die rundherum tanzten und lachten.

Die Mama hatte überhaupt nicht mitbekommen, dass ihre kleine Tochter weg war. Es ging auch alles ziemlich schnell. Trotzdem war im Gesicht des Kindes der Schrecken, die Verzweiflung und die Angst, dass sie Mama jetzt nicht mehr wiederfindet, deutlich zu sehen. Abgesehen davon, dass sie zutraulich genug war, einfach mit mir, einer komplett Fremden, mitzugehen, hatte sie ab diesem Zeitpunkt sofort wieder Hoffnung, dass ihr ein Erwachsener aus ihrer Not hilft. Als sie die Mama dann wieder gefunden hatte, schüttelte sie diese ganze Angst quasi ab, vergewisserte sich, dass alles wieder gut war, und machte gleich weiter mit „ihrem Leben“, mit Lachen und Tanzen und Spielen.

Für sie war es nur ein kurzer Schreckmoment, der sich zum Glück schnell klären konnte. Aber was ist, wenn dieses Kind die Mama NICHT findet – wenn es sucht und sucht und plötzlich nur noch fremde Menschen da sind. Wenn nicht nur die Mutter fehlt, sondern auch all die anderen Menschen, die zu seiner Familie gehören. Wenn es den Heimweg nicht findet zu seinem Haus, seiner Nachbarschaft, seiner Wohnung, seinem Kinderzimmer. Wenn es mit seinem gewohnten Leben nicht einfach weitermachen kann, weil es WEG ist. Kann dieses Kind all das auch einfach abschütteln?

Nein, mit Sicherheit nicht. Warum erwarten wir das dann?

Und jetzt sind wir beim Unterschied. Ein Kind, das sicher gebunden ist in seiner kleinen Familie, hat ein gewisses Maß an Urvertrauen, das es ihm ermöglicht, mit kleineren Problemen fertig zu werden. Wenn dieses Kind zum Beispiel abends ins Bett soll und sich wehrt, dann will es vielleicht einfach noch einen Film schauen oder weiter spielen oder findet, dass es noch gar nicht müde ist.

Ein Kind, dessen Urvertrauen zerstört ist, hat aber ganz andere Probleme. Es hat erlebt, dass seine Welt sich von einer Minute auf die andere komplett verändert. Es hat vielleicht Angst, in den Schlaf zu fallen und am nächsten Morgen befindet es sich wieder bei fremden Menschen in einer fremden Umgebung. Es hat vielleicht Angst, seine „neue“ Mama aus den Augen zu lassen, weil sie verschwinden könnte – so etwas hat es ja schließlich schon mal erlebt. Es hat vielleicht Angst, alleine zu sein, weil es Trost und Unterstützung braucht. Es hat vielleicht Angst, dass im Dunklen all die Gedanken aufkommen, die es so quälen und die es nicht einfach abstellen kann. Stundenlang….

Im ersten Falle werden wir vielleicht mit liebevoller Konsequenz reagieren. Im zweiten Falle braucht das Kind aber eine ganz andere Hilfe. Was nicht heißt, dass es keine Konsequenz braucht, denn es wäre ja auch keine besonders gute Lösung, das Kind einfach nicht ins Bett zu schicken, bis es irgendwann vor lauter Übermüdung auf dem Küchenboden einschläft. Was ihm hilft, das ist von Kind zu Kind verschieden. Deshalb muss man es ausprobieren. Vielleicht ein Übergangsobjekt wie ein Teddybär. Oder leise Musik beim Einschlafen. Ein besonderes Nachtlicht. Die Mama, die sich für eine halbe Stunde daneben legt. Vielleicht kann es im Elternbett ganz entspannt einschlafen. Oder im Zimmer eines Geschwisterkindes. Vielleicht wäre auch ein großes Familienbett eine gute Lösung. Was auch immer es ist, was da hilft: es hilft nicht nur beim Einschlafen. Es hilft auch beim Wiederaufbau eines Stückchen Vertrauens und bei der Heilung der inneren Verletzung. Das ist enorm wichtig. Denn es bedeutet, dass eine Lösung im Bereich Einschlafen auch eine positive Auswirkung auf andere Bereiche hat.

Bei uns hat die Lösung so ausgesehen, dass das Kind im Elternschlafzimmer geschlafen hat. Dafür gab es dann ein Reisebett mit Durchschlupf, damit es sich nicht über das Gitter rausfallen lässt. Also eine kleine „Tür“, die man mit Hilfe eines Reißverschlusses öffnen konnte. Da es aber natürlich früher als wir ins Bett musste, ging das verzweifelte Geschrei sofort los, wenn ich nach der 5. Gutenachtgeschichte aus dem Schlafzimmer ging, obwohl ich die Tür aufgelassen habe und keine 3 Meter entfernt war. Also habe ich mich auf den Boden gelegt und durch diesen Durchschlupf gezwängt, um quasi neben ihr liegen zu können, bis sie ruhiger und ruhiger wurde. Halb im engen Reisebett, halb draußen liegend, mit einem Unterschied von 10 cm genau am unteren Rücken, hat mir jeder einzelne Muskel weh getan. Hat es was genützt? Ja, definitiv. Irgendwann war das Problem vorbei und wir konnten alle Hilfsmittel nach und nach wieder entfernen: ich musste nicht mehr so halb im Bett liegen, sondern konnte einfach daneben sitzen. Ich musste nur noch eine einzige Geschichte erzählen, dann durfte die Tür auch mal halb geschlossen werden, das Licht konnte ausgemacht werden und irgendwann konnte das Kind ganz entspannt im Kinderzimmer des Bruders einschlafen. Der Hintergrund war, dass es schon einmal nachts in einer fremden Wohnung ganz alleine aufgewacht ist und niemand auf sein Weinen und Schreien reagiert hatte. Man kann sich ausmalen, was es in dem Kind ausgelöst hätte, wenn ich es mit seiner Angst alleine gelassen hätte…..

Ja, es ist mühsam. Ja, es dauert manchmal wirklich lange. Aber wir geben unseren Kindern damit ein Stück verlorenes Vertrauen zurück. Das ist es wirklich wert. Wie oben schon gesagt: wenn wir eine Lösung finden, dann hat das auch positive Auswirkungen auf andere Probleme.

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3 Antworten

  1. Dany sagt:

    Guten Abend Frau Schmitt,
    ich habe soeben von meiner Frau den Link zum obenstehenden Text erhalten und merke, wie es mich entspannt. Unser Pflegesohn wohnt nun 3 Wochen bei uns und war sonst immer ein guter (durch Flasche und Musik konditionierter) Schläfer. Seit nunmehr drei Nächten, zieht er die Flasche gefühlt in einem Zug leer und weint dann bitterlich. Ich habe mich die letzten Tage intuitiv einfach dazugesetzt, ein wenig mit ihm gesprochen (er ist noch ein junges Kleinkind) und er konnte einschlafen. Durch den Inhalt dieser Seite, hat es sich nun rund angefühlt, zu wissen, was plötzlich mit ihm los ist. Dafür möchte ich Danke sagen. Wir werden die nächsten Tage das ein oder andere mal probieren und hoffen, dass wir ihm die notwendige Sicherheit geben können.

    • Gabi sagt:

      Ich freue mich so sehr über diese Rückmeldung. Ein wunderschönes Beispiel dafür, wie Intuition Verständnis und Klarheit bringen kann. Ihr Pflegekind kann sich glücklich schätzen, zu solch empathischen Pflegeeltern gekommen zu sein. Ganz liebe Grüße, Gabi Schmitt

  2. Beringhoff Daniela sagt:

    Darf man Pflegekinder auch einfach mit ins familienbett nehmen? Weil das Jugendamt schreibt ja ein eigenes Zimmer vor. Wir schlafen mit unserer Tochter (1,5 Jahre) im Familienbett und überlegen, ein Pflegekind aufzunehmen. Schlimm fände ich es aber, wenn das Kind sich ausgeschlossen fühlt, weil es nicht bei uns schlafen darf (weil das JA das vllt komisch sieht). Wenn es selbst natürlich so nicht schlafen will ist es was anderes!

    Ich würde mich sehr über eine Antwort freuen!

    Daniela

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