Warum schreibe ich hier? Warum poste ich auf meiner Facebookseite und bei Instagram? Warum erstelle ich Blogbeiträge zum Thema Pflegeeltern und Pflegekinder?
Ganz einfach: dieses Thema ist untrennbar mit mir verbunden. Ich war selbst ein Pflegekind und ich habe Pflegekinder großgezogen. Alles, was ich täglich lernen darf, fließt in meine Sichtweise ein. Alles, was meine Coaches mir beibringen, was ich lese und mir durch Fortbildungen aneigne, verstärkt meine Ansichten oder definiert sie neu. Ich weiß, dass es jedes Mal, wenn ich intuitiv schreibe, mindestens einen Menschen da draußen auf dieser Welt gibt, für den es jetzt und hier genau die richtige Message ist. Und heute ist es mir wichtig, dass ich dir mitteile, wie sehr deine (tägliche) Sichtweise von deinen eigenen Erfahrungen geprägt ist. So wie die Sichtweise anderer Menschen von ihren eigenen Erfahrungen beeinflusst wird.
Du hast dich aus irgendeinem Grunde entschlossen, mit einem Pflegekind dein Leben zu teilen. Das ist eine ganz wunderbare Entscheidung gewesen, die das Leben vieler Menschen verändert. Dabei hattest du eine Innere Vorstellung von diesem Leben. Bilder, die du vor deinem Inneren Auge gesehen hast. Gefühle, die du gefühlt hast, als du dir das zukünftige gemeinsame Leben vorgestellt hast. Ob bewusst oder unbewusst, diese Vorstellungen waren da. Vorstellungen von glücklichem Kinderlachen, Kuschelabenden und lustigen Spielen.
Tja, und dann kommt die Realität. Die besteht nun mal oft aus Geschrei, Bocken und unglücklichem Weinen. Aus Zoff mit anderen Kindern, Durcheinander im Kinderzimmer und Problemen in der Schule. Aggressionen und Wutanfällen, Tränen und Trauer.
Kann ich dir einen Tipp geben, damit das nicht so ist? Nein, das kann ich leider nicht. Das kann niemand. Das wäre noch nicht mal sinnvoll, weil all das, was dich im Alltag so furchtbar nervt, seinen guten Grund hat. Ja, es gibt einen Grund, warum dieses Kind, für das du so viel gemacht hast und auch weiterhin machen wirst, so feindselig reagiert. Mit Wut, mit Aggression, mit Tränen, mit Trotz. Dieser gute Grund liegt in seiner Vergangenheit. Es reagiert nicht so, weil es dich ärgern will. Es reagiert so, weil irgendwelchen früheren Ereignisse (die du wahrscheinlich nicht kennst) es dazu gebracht haben.
Das Kind denkt nicht: „Hey, es ist gerade so ruhig hier. Lass uns doch mal toben und schreien, damit hier Stimmung in die Bude kommt. Ich will jetzt mal alle an den Rand der Verzweiflung bringen. Die Mama hält mich so fest an der Hand, das möchte ich nicht. Ich bringe ihr jetzt mal bei, das sie das nie mehr machen wird. Also lasse ich mich jetzt mal auf den Boden fallen, schreie, trample mit den Beinen, schlage um mich. Das wird ein Spaß“.
Nein. SO denkt das Kind nicht. Das ist nur in deinem Kopf.
Vielleicht hat das feste Ziehen an seiner Hand eine Erinnerung in ihm geweckt. Vielleicht war es die Erinnerung daran, dass es genau so in sein Zimmer gezogen wurde und dort eine ordentliche Tracht Prügel bekam. Vielleicht fühlt es wieder die Schläge, die Schmerzen und aus lauter Angst wehrt es sich. Nicht gegen die Schläge – denn du schlägst es ja nicht. Was das Kind gar nicht weiß, denn was einmal passiert ist, kann ja noch mal passieren, oder? Es wehrt sich gegen die Möglichkeit, die dieses Ziehen an der Hand bedeuten könnte. In seiner Welt macht das Sinn. Denn dort war es die Wahrheit. In deiner Welt bedeutet das Ziehen an der Hand vielleicht Sicherheit, weil du das Kind damit schützen willst. Oder es bedeutet auch nur „Komm, beeilen wir uns, damit wir rechtzeitig in den Kindergarten kommen“. Und genau so wenig, wie das Kind deine Welt kennt, kennst du die Welt des Kindes. Du interpretierst die Situation nach deinen Erfahrungen. Und dein Kind interpretiert sie aufgrund seiner eigenen Erfahrungen, die nichts, aber auch gar nichts mit den deinen zu tun haben.
Wie wäre es, wenn du deine Sicht nur für einen einzigen Tag mal zurück stellen würdest? Wenn du für einen einzigen Tag versuchen würdest, die Welt mit den Augen deines Kindes zu sehen? Keine Interpretationen aufgrund deiner eigenen Sichtweise. Sondern Aufmerksamkeit für das Kind. Für das, was bei einem solchen Szenario von ihm an Gefühlen transportiert wird. Für das, was es auch sein könnte. Einfach offen sein für andere Möglichkeiten.
Ich bin mir sicher, dass du nach einem einzigen Tag so viele (neue) Erfahrungen gesammelt hast, dass du es gerne noch einen Tag versuchst und noch einen Tag und noch einen Tag…..
Wenn ich erreicht habe, dass nur eine einzige Pflegemama oder ein einziger Pflegepapa nur für einen einzigen Tag die Reaktionen ihres oder seines Kindes neu interpretiert, dann hat es sich gelohnt, meine Gedanken aufs Papier bzw auf den Bildschirm zu bringen.
Weitere Inspirationen findest du auf meinem Blog:
- von Gabi
- unter November 26, 2020